Sunday, December 1, 2019

Swiss Competition Commission Opinion (in German) - Distribution Agreement - Vertical Restraints

 

Swiss Competition Commission opinion (in German)

 

Antitrust

 

Competition

 

Distribution Agreement

 

Vertical Restraints

 

Horizontal Restraints

 

Supplier in Germany

 

Two Distributors in Switzerland

 

Customer Sharing Agreement in Switzerland

 

Passive Sales Forbidden by Agreement

 

 

 

Vertikales Verhältnis

 

Hier Passivverkäufe aufgrund des Wortlauts der Kundenaufteilungsklausel im Kooperationsvertrag sind ausgeschlossen. Folglich liegt eine qualitativ schwerwiegende Abrede

 

Da die absatzseitige Kundenaufteilung eine qualitativ schwerwiegende Abrede gemäss Ziff. 12 Abs. 2 Bst. b VertBek darstellt, braucht es in quantitativer Hinsicht nur wenig, um die Abrede gestützt auf eine Gesamtbeurteilung der betrachteten qualitativen und quantitativen Kriterien als erhebliche Wettbewerbsbeschränkung zu qualifizieren

 

Intrabrand-und Interbrand-Wettbewerbs

 

 

Die absatzseitige Kundenaufteilung ist hier auch als horizontale Wettbewerbsabrede zwischen Bucher und Brenntag zu werten

 

Unzulässige Wettbewerbsabrede (In der Schweiz Kundinnen und Kunden untereinander teilen)

 

Bewusstes und Gewolltes Zusammenwirken

 

Subjektive Absicht der an der Abrede Beteiligten ist unerheblich

 

Beteiligung Dritter

 

Vertikale Wettbewerbsabreden :

-       Die europäischen Regeln in der Schweiz analog anwendbar sind

-       Definition eines Wettbewerbers

 

Handelsvertreterverhältnisse

 

Parallelimporten

 

Passivverkäufe

 

 

 

 

 

AdBlue ist eine wässrige Harnstofflösung, die den Ausstoss von Stickoxiden (NOx) bei Dieselmotoren reduziert. Mit AdBlue können die Abgase um bis zu 90 % reduziert werden. Die Flüssigkeit ist technisch normiert (ISO 22241-1). Erfüllt ein Anbieter diese Norm, kann er mit dem in Berlin ansässigen Verband der Automobilindustrie e.V, dem Inhaber der Individualmarke «Ad-Blue®», eine Lizenzvereinbarung treffen, um diesen Markennamen verwenden zu dürfen (Rz 4).

 

 

(…) In der Schweiz Kundinnen und Kunden untereinander aufgeteilt haben (Rz 1).

 

 

(…) Mit der Untersuchung sollte geprüft werden, ob die Untersuchungsadressatinnen eine unzulässige Wettbewerbsabrede im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Bst. c KG getroffen haben (Rz 1).

 

 

8. Auf die SHAB-Publikation der Untersuchungseröffnung vom 5. Dezember 2017 meldeten sich keine Dritten, die sich im Sinne von Art. 43 Abs. 1 Bst. a KG mit Parteistellung am Verfahren beteiligen wollten.

 

 

B.4. Unzulässige Wettbewerbsabrede

30. Abreden, die den Wettbewerb auf einem Markt für bestimmte Waren oder Leistungen erheblich beeinträchtigen und sich nicht durch Gründe der wirtschaftlichen Effizienz rechtfertigen lassen, sowie Abreden, die zur Beseitigung wirksamen Wettbewerbs führen, sind unzulässig (Art. 5 Abs. 1 KG).

 

 

B.4.1 Wettbewerbsabrede

31. Als Wettbewerbsabreden gelten rechtlich erzwingbare oder nicht erzwingbare Vereinbarungen sowie aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen von Unternehmen gleicher oder verschiedener Marktstufen, die eine Wettbewerbsbeschränkung bezwecken oder bewirken (Art. 4 Abs. 1 KG).

 

 

32. Eine Wettbewerbsabrede im Sinne von Art. 4 Abs. 1 KG definiert sich daher durch folgende Tatbestandselemente: a) ein bewusstes und gewolltes Zusammenwirken der an der Abrede beteiligten Unternehmen und b) die Abrede bezweckt oder bewirkt eine Wettbewerbsbeschränkung.

 

 

B.4.1.1. Bewusstes und gewolltes Zusammenwirken

33. Die in Art. 4 Abs. 1 KG aufgeführten Formen von Wettbewerbsabreden zeichnen sich alle dadurch aus, dass zwei oder mehrere wirtschaftlich voneinander unabhängige Unternehmen kooperieren. Am einfachsten gelingt der Nachweis eines bewussten und gewollten Zusammenwirkens, wenn die Wettbewerbsabrede in der Form einer ausdrücklichen Vereinbarung vorliegt.

 

 

35. Die Kundenaufteilung ergab sich gemäss den Untersuchungsadressatinnen aus ihren spezifischen Stärken: Brenntag habe AdBlue importiert und verfüge über die für Grosshändlerinnen typischen Ressourcen, um AdBlue zu transportieren, zu lagern und in kleinere Behälter abzufüllen. Brenntag sei daher ausgerüstet, um Kundinnen und Kunden in der Schweiz zu beliefern, die grössere Mengen AdBlue nachfragen würden (i.d.R. lose im Tankfahrzeug oder in grösseren Behältern). Bucher hingegen verfüge über eine starke Präsenz als Händlerin für kleinere Endkundinnen und Endkunden. Buchers Stärke sei folglich die Belieferung von Kundinnen und Kunden mit kleineren Behältern von AdBlue.

 

 

36. In casu haben Brenntag und Bucher mit dem Kooperationsvertrag und der darin enthaltenen Kundenaufteilung eine ausdrückliche Vereinbarung getroffen und die Kundenaufteilung mit der Aktennotiz zum Treffen der Untersuchungsadressatinnen vom 20. August 2015 aktualisiert. Damit liegt ein bewusstes und gewolltes Zusammenwirken bezüglich der absatzseitigen Kundenaufteilung vor.

 

 

37. Neben einem bewussten und gewollten Zusammenwirken muss die Abrede «eine Wettbewerbsbeschränkung bezwecken oder bewirken» (vgl. oben, Rz 32). Eine Abrede bezweckt eine Wettbewerbsbeschränkung, wenn die Abredebeteiligten «die Ausschaltung oder Beeinträchtigung eines oder mehrerer Wettbewerbsparameter zum Programm erhoben haben». Dabei genügt es, wenn der Abredeinhalt objektiv geeignet ist, eine Wettbewerbsbeschränkung durch Ausschaltung eines Wettbewerbsparameters zu verursachen. Die subjektive Absicht der an der Abrede Beteiligten ist unerheblich.

 

 

(…) Konnte mit der vertraglichen Regelung letztlich der Zweck verfolgt werden, sich bezüglich Kundinnen und Kunden nicht zu konkurrieren (Rz 38).

 

 

Ausserdem belieferten sowohl Brenntag als auch Bucher während des Untersuchungszeitraums, d.h. vom 5. Mai 2014 (Abschluss Kooperationsvertrag) bis zum 9. Juni 2017 (Aufhebung der Kundenaufteilung), Kundinnen und Kunden, die vertragsgemäss der jeweiligen anderen Vertragspartnerin zugeordnet waren. So erzielte Bucher in den Jahren 2014, 2015, 2016 und 2017 rund [0–20] %, [0–20] %, [0–20] % und [0–20] % des Umsatzes mit AdBlue mit «Brenntag-Kunden». Bei Brenntag lagen die Mengenanteile, die in den Jahren 2014, 2015, 2016 und 2017 an «Bucher-Kunden» geliefert wurden, bei [0–20] %, [0–20] %, [0–20] % und [0–20] %. Mengenmässig sind die Lieferungen an die Kundinnen und Kunden, die vertragsgemäss der jeweiligen Vertragspartnerin zugeordnet waren, im Untersuchungszeitraum sowohl bei Bucher als auch bei Brenntag gestiegen, wobei zu beachten ist, dass der Absatzmarkt für AdBlue in der Schweiz in den letzten Jahren wachsend war (Rz 38).

 

 

41. Vertikale Wettbewerbsabreden sind erzwingbare oder nicht erzwingbare Vereinbarungen sowie aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen von Unternehmen verschiedener Marktstufen, die eine Wettbewerbsbeschränkung bezwecken oder bewirken und Geschäftsbedingungen betreffen, zu denen die beteiligten Unternehmen bestimmte Waren oder Dienstleistungen beziehen, verkaufen oder weiterverkaufen können (Ziff. 1 VertBek64).

 

 

42. In Erw.-Gr. VI. und VII. nimmt die Vertikalbekanntmachung Bezug auf die Vertikal-GVO65 und die entsprechenden EU-Vertikalleitlinien und stellt klar, dass die europäischen Regeln in der Schweiz analog anwendbar sind.

 

 

44. Ziff. 8 Abs. 1 VertBek hält fest, dass die Bekanntmachung für vertikale Wettbewerbsabreden gilt. Weiter findet sie auch Anwendung, wenn Wettbewerber eine nicht gegenseitige vertikale Vereinbarung treffen und a) der Anbieter zugleich Hersteller und Händler von Waren ist, der Abnehmer dagegen Händler, jedoch kein Wettbewerber auf der Herstellungsebene; oder b) der Anbieter ein auf mehreren Handelsstufen tätiger Dienstleister ist, der Abnehmer dagegen Waren oder Dienstleistungen auf der Einzelhandelsstufe anbietet und auf der Handelsstufe, auf der er die Vertragsdienstleistungen bezieht, kein Wettbewerber ist (Ziff. 8 Abs. 2 VertBek; sog. zweigleisiger oder dualer Vertrieb). Zudem schliesst die Anwendung der Bekanntmachung nicht aus, dass ein Sachverhalt ganz oder teilweise als horizontale Wettbewerbsabrede gemäss Art. 5 Abs. 3 KG qualifiziert oder von Art. 7 KG erfasst wird. Diesfalls ist der Sachverhalt unabhängig von der Bekanntmachung gemäss den einschlägigen Vorschriften des Kartellgesetzes zu beurteilen (Ziff. 8 Abs. 3 VertBek).

 

 

(64 Bekanntmachung der WEKO vom 28.6.2010 über die wettbewerbsrechtliche Behandlung vertikaler Abreden (Stand am 22.5.2017; Vertikalbekanntmachung, VertBek), BBl 2017 4543, abrufbar unter: www.weko.ch>Dokumentation>Bekanntmachungen/Erläuterungen).

(65 Verordnung (EU) Nr. 330/2010 der Kommission vom 20.4.2010 über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen (nachfolgend: Vertikal-GVO), ABl. L 102 vom 23.4.2010, 1).

(66 Leitlinien für vertikale Beschränkungen, Mitteilung der Europäischen Kommission (nachfolgend: EU-Vertikalleitlinien), ABl. C 130 vom 19.5.2010, 1).

 

 

46. Ein Wettbewerber ist laut Definition der Vertikal-GVO (Art. 1 Abs. 1 Bst. c) ein tatsächlicher oder potenzieller Wettbewerber; ein «tatsächlicher Wettbewerber» ist ein Unternehmen, das auf demselben relevanten Markt tätig ist; ein «potenzieller Wettbewerber» ist ein Unternehmen, bei dem realistisch und nicht nur hypothetisch davon ausgegangen werden kann, dass es ohne die vertikale Vereinbarung als Reaktion auf einen geringen, aber anhaltenden Anstieg der relativen Preise wahrscheinlich innerhalb kurzer Zeit die zusätzlichen Investitionen tätigen oder sonstigen Umstellungskosten auf sich nehmen würde, die erforderlich wären, um in den relevanten Markt einzutreten. Dies zeigt, dass nicht allein auf die unterschiedlichen Produktions- oder Vertriebsstufen abzustellen ist, sondern auf ein konkretes Wettbewerbsverhältnis.

 

 

48. Die dargelegten europäischen Bestimmungen sind ausführlicher als jene in der Vertikalbekanntmachung. Sie gelten gestützt auf Erw.-Gr. VI. und VII. sowie Ziff. 8 VertBek auch in der Schweiz.

 

 

52. Aus dem Kooperationsvertrag (siehe oben, Rz 34) wird ersichtlich, dass darin die Liefer- und Bezugsbeziehung zwischen Brenntag und Bucher zwecks Weiterverkaufs von AdBlue geregelt wurde. Bezüglich dieser Liefer- und Bezugsbeziehung stehen Brenntag und Bucher auf verschiedenen Marktstufen. Während Brenntag Generalimporteurin und Anbieterin des AdBlue ihrer Lieferantin ist, ist Bucher Abnehmerin. Somit handelt es sich bei dieser Liefer- und Bezugsbeziehung um ein vertikales Verhältnis. Zur Beantwortung der Frage, ob die im Kooperationsvertrag gleichzeitig vereinbarte absatzseitige Kundenaufteilung eine eigenständige horizontale Verhaltenskoordinierung darstellt, ist zu eruieren, ob sich die Vertragsparteien (entlang der ganzen Vertriebskette von AdBlue oder in Teilbereichen) als Wettbewerberinnen (siehe oben, Rz 46) gegenüberstehen.

 

 

(…) Anlage 3 des Kooperationsvertrags definierte denn auch Spezialfälle, die ausnahmsweise Lieferungen oder vorgängige Abstimmungen der Vertragsparteien vor einer Kontaktaufnahme bzw. einer Lieferung an die jeweiligen Kundinnen und Kunden vorsahen (vgl. oben, Rz 34) (Rz 53).

 

 

54. Diese Elemente zeigen auf, dass Bucher und Brenntag absatzseitig entlang der gesamten Vertriebskette von AdBlue Wettbewerberinnen sind, wenn auch mit unterschiedlichen Schwerpunkten: Während Brenntag vor allem Grosskundinnen und -kunden beliefert, die grössere Mengen von AdBlue nachfragen (i.d.R. lose im Tankfahrzeug oder in grösseren Behältern), verkauft Bucher überwiegend abgepackte Ware (Kanister) an kleinere Abnehmerinnen und Abnehmer über den Aussendienst. Im Übrigen haben die Abklärungen des Sekretariats ergeben, dass Bucher auch ohne Zusammenarbeit mit Brenntag ins Geschäft mit AdBlue eingestiegen wäre. Somit war Bucher zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kooperationsvertrags eine potenzielle Wettbewerberin von Brenntag.

 

 

Die absatzseitige Kundenaufteilung ist somit als horizontale Wettbewerbsabrede zwischen Bucher und Brenntag zu werten, die nach den einschlägigen Bestimmungen des Kartellgesetzes zu würdigen ist (Ziff. 8 Abs. 3 VertBek).

 

 

61. Aufgrund des Agreements ist Brenntag von einer Lieferantin von AdBlue zum Vertrieb von AdBlue in der Schweiz ermächtigt. Brenntag vertritt ihre Lieferantin von AdBlue gemäss deren Instruktion und darf sie in diesen Schranken vertraglich binden. Verkäufe erfolgen im Namen von Brenntag, aber auf Rechnung der Lieferantin von AdBlue.

 

 

62. Das Agreement sieht vor, dass Brenntag ein Konsignationslager führt. Das Eigentum an der Vertragsware geht direkt von der Lieferantin von AdBlue auf den Käufer über. Im Verhältnis zu Brenntag übernimmt die Lieferantin von AdBlue diverse Kosten wie solche, die aufgrund vertragsgemässer Durchführung des Vertrags entstehen, sowie Liefer- und Versicherungskosten. Die Lieferantin von AdBlue übernimmt auch das Risiko der Nichterfüllung.

 

 

65. Im Schweizer Kartellrecht gibt es keine Bestimmungen, welche vorsehen, wie Personen, die im Auftrag einer anderen Person (Auftraggeber) entweder im eigenen Namen oder im Namen des Auftraggebers handeln, kartellrechtlich zu behandeln sind.88 Anders ist dies in der EU. Die EU-Vertikalleitlinien behandeln diese Konstellation mit dem Rechtsinstitut des Handelsvertreters (siehe oben, Rz 64). Gestützt auf die Erw.-Gr. VI. und VII. VertBek können die in der EU entwickelten Grundlagen bezüglich der Risikoverteilung zur Klärung der Frage herangezogen werden, ob die Tätigkeit des Auftragnehmers aufgrund des fehlenden unternehmerischen Risikos vollumfänglich dem Auftraggeber zuzurechnen ist.89

 

88 Das Schweizer Zivilrecht kennt jedoch im Bundesgesetz vom 30.3.1911 betreffend die Ergänzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fünfter Teil: Obligationenrecht) (Obligationenrecht, OR; SR 220) mit dem Auftrag (Art. 394 ff. OR), insb. dem Agenturvertrag (Art. 418a ff. OR), und der Kommission (Art. 425 ff. OR) Vertragsverhältnisse, die das Handeln im Auftrag einer anderen Person entweder im eigenen oder im Namen des Auftraggebers regeln.

 

89 Vgl. Urteil des BVGer B-3975/2013 vom 30.10.2019, E. 6.3, Les Editions Flammarion SA/COMCO; RPW 2013/4, 481 f. Rz 32 ff., Costa Kreuzfahrten; RPW 2016/1, 79 Rz 97 f., Online-Buchungsplattformen für Hotels; RPW 2017/4, 701 ff. Rz 45 ff., Gutachten: Vertrieb ausländischer Zeitschriften in der Schweiz; RPW 2018/2, 256 Rz 86 ff., marché du livre écrit en français. Siehe auch HADI MIRZAI/MARQUARD CHRISTEN, Handelsvertreterverhältnisse im Kartellrecht, in: Jusletter vom 15.10.2018, welche u.a. einen Überblick über die Beratungspraxis des Sekretariats i.S. Handelsvertreterverhältnisse geben.

 

 

 

77. Vorliegend wird nicht abschliessend geklärt, ob Brenntag im Verhältnis mit ihrer Lieferantin von AdBlue wirtschaftliche Risiken trägt, und falls ja, in welchem Umfang, und ob Brenntags Verhalten demnach Brenntag oder ihrer Lieferantin von AdBlue zuzurechnen ist. Es ist deshalb nicht nachgewiesen, dass es sich bei der Kundenaufteilung, die Brenntag und Bucher vereinbart haben, um eine Abrede zwischen Konkurrenten handelt, die gemäss den einschlägigen Bestimmungen des Kartellgesetzes zu beurteilen ist. Eine Abrede über eine Kundenaufteilung im horizontalen Verhältnis beseitigt vermutungsweise den wirksamen Wettbewerb. Dagegen erfüllt eine absatzseitige Abrede über eine Kundenaufteilung zwischen Wettbewerbern, die gestützt auf Ziff. 8 Abs. 2 Bst. a VertBek nach der Vertikalbekanntmachung zu beurteilen ist, keinen der Vermutungstatbestände gemäss Art. 5 KG.

 

 

Räumlich relevanter Markt

Von Direktimport wird gesprochen, wenn Endkundinnen und Endkunden Produkte im Ausland einkaufen und in die Schweiz einführen. Von Parallelimporten wird gesprochen, wenn Händler Produkte im Ausland erwerben und ausserhalb der vom Hersteller vorgesehenen Vertriebskanäle in die Schweiz einführen (Rz 88).

 

 

Qualitative Beeinträchtigung des Wettbewerbs

 

89. Vorliegend ist erwiesen, dass Brenntag und Bucher zwischen 2014 und 2017 eine absatzseitige Kundenaufteilung vereinbart haben. Zu prüfen ist, ob durch die Kundenaufteilung auch Passivverkäufe, d.h. die Erledigung unaufgeforderter Bestellungen einzelner Kundinnen und Kunden, eingeschränkt worden sind.

 

90. In der Anlage 3 zum Kooperationsvertrag ist festgehalten, dass gewisse Kundinnen und Kunden exklusiv nur durch Bucher resp. Brenntag beliefert werden. Im Kooperationsvertrag wird nicht zwischen passiven und aktiven, d.h. die aktive Ansprache einzelner Kundinnen und Kunden, Verkäufen unterschieden, doch legt eine Auslegung dieser Klausel nach dem Wortlaut nahe, dass Bucher resp. Brenntag die Kundinnen und Kunden exklusiv beliefern soll, ungeachtet dessen, ob die Lieferung aufgrund einer unaufgeforderten Bestellung einzelner Kundinnen und Kunden oder aktiven Ansprache einzelner Kundinnen und Kunden ausgelöst wurde.

 

91. Gemäss Ziff. 12 Abs. 2 Bst. b VertBek wird eine Beschränkung der Kundengruppen, an die ein an der Vereinbarung beteiligter Abnehmer verkaufen darf, als qualitativ schwerwiegend betrachtet. Eine qualitativ schwerwiegende Beeinträchtigung des Wettbewerbs aufgrund des Gegenstandes liegt jedoch nicht vor bei Beschränkungen des aktiven Verkaufs an Kundengruppen, die der Abnehmer sich selbst vorbehalten hat, vorausgesetzt, dass Passivverkäufe uneingeschränkt möglich sind (Ziff. 12 Abs. 2 Bst. b i) VertBek). Diese Ausnahme greift vorliegend nicht, weil Passivverkäufe aufgrund des Wortlauts der Kundenaufteilungsklausel im Kooperationsvertrag ausgeschlossen sind. Folglich liegt eine qualitativ schwerwiegende Abrede im Sinne von Ziff. 12 Abs. 2 Bst. b VertBek vor.

 

 

Quantitative Beeinträchtigung des Wettbewerbs

 

92. Die Prüfung der quantitativen Beeinträchtigung des Wettbewerbs erfolgt üblicherweise anhand derselben Konzepte wie die Frage, ob die Unzulässigkeitsvermutung nach Art. 5 Abs. 4 KG widerlegt werden kann ; d.h. im Fall von Vertikalabreden anhand des vorhandenen Intrabrand- und Interbrand-Wettbewerbs. Die Analyse unterscheidet sich jedoch im Mass der Wettbewerbsbeeinträchtigung, welches erreicht sein muss, damit eine Abrede den Wettbewerb beseitigt oder (nur) erheblich beeinträchtigt.

 

93. Da die absatzseitige Kundenaufteilung eine qualitativ schwerwiegende Abrede gemäss Ziff. 12 Abs. 2 Bst. b VertBek darstellt (siehe oben, Rz 91), braucht es in quantitativer Hinsicht nur wenig, um die Abrede gestützt auf eine Gesamtbeurteilung der betrachteten qualitativen und quantitativen Kriterien als erhebliche Wettbewerbsbeschränkung zu qualifizieren (siehe oben, Rz 82).

 

94. Der mengenbasierte Marktanteil von Brenntag auf dem Schweizer Markt für AdBlue lag im Untersuchungszeitraum gestützt auf Schätzungen von Brenntag zwischen [20–30] % im Jahr 2014 und [10–20] % im Jahr 2017. Gestützt auf die Schätzungen des Gesamtmarktvolumens von Brenntag und die Liefermengen von Brenntag an Bucher ergeben sich geschätzte Marktanteile von Bucher in Höhe von [0–10] % im Jahr 2014 und [0–10] % im Jahr 2017. Bucher schätzt die eigenen mengenbasierten Marktanteile auf [0–10] % im Jahr 2016 und [0–10] % im Jahr 2017.

 

95. Nebst Bucher und Brenntag gibt es eine Reihe anderer Anbieter mit Vertrieb von AdBlue in der Schweiz. Dazu gehört insbesondere die BASF SE, Deutschland, mit der Schweizer Vertriebspartnerin Thommen-Furler AG, die österreichische Borealis AG mit Vertrieb über ein eigenes Netz und externe Partner sowie die deutsche Hoyer mit der Schweizer Vertriebspartnerin Oel Pool AG. Weitere Wettbewerber sind Tankstellenketten (z.B. Shell, Avia, Total) und internationale Transportunternehmen.

 

B.4.3.4. Fazit

97. Gestützt auf eine Gesamtbeurteilung der dargelegten qualitativen und quantitativen Kriterien kommt die WEKO zum Schluss, dass die absatzseitige Kundenaufteilungsabrede zwischen Bucher und Brenntag den Wettbewerb auf dem schweizweiten Markt für den Vertrieb von AdBlue im Sinne von Art. 5 Abs. 1 KG erheblich beeinträchtigte.

 

 

B.4.4. Rechtfertigung aus Effizienzgründen

 

99. Vorliegend sind keine Gründe ersichtlich, welche die absatzseitige Kundenaufteilungsabrede im Sinne von Art. 5 Abs. 2 KG rechtfertigen könnten. Die Parteien haben auch keine möglichen Effizienzgründe geltend gemacht.

 

 

B.4.5. Ergebnis

100. Die WEKO kommt gestützt auf die vorstehenden Erwägungen zu folgendem Ergebnis:

 

 • Die im Kooperationsvertrag zwischen Brenntag und Bucher vereinbarte Kundenaufteilung stellt eine Wettbewerbsabrede im Sinne von Art. 4 Abs. 1 KG dar (vgl. oben, Rz 31 ff.).

 

Vorliegend wird nicht abschliessend geklärt, wie die Risikoverteilung zwischen Brenntag und ihrer Lieferantin von AdBlue aussieht, und ob Brenntags Verhalten, d.h. die absatzseitige Kundenaufteilung mit Bucher, folglich Brenntag selber oder ihrer Lieferantin von AdBlue zuzurechnen ist (vgl. oben, Rz 71 f.). Es ist deshalb nicht nachgewiesen, dass es sich bei der Kundenaufteilung um eine Abrede zwischen Konkurrenten im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Bst. c KG handelt (vgl. oben, Rz 77 f.).

 

 

101. Die absatzseitige Kundenaufteilungsabrede zwischen Bucher und Brenntag ist somit eine unzulässige Wettbewerbsabrede im Sinne von Art. 5 Abs. 1 KG

 

 

 

 

(Verfügung vom 2. Dezember 2019 in Sachen Untersuchung gemäss Art. 27 KG betreffend AdBlue wegen unzulässiger Wettbewerbsabrede gemäss Art. 5 KG gegen 1. Brenntag Schweizerhall AG, in Basel, vertreten durch [...], 2. Bucher AG Langenthal, in Langenthal, vertreten durch [...], RPW 2020/2, S. 626 ff.)

 

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